Auch Löschen will gelernt sein

Physik bei der Feuerwehr

Von Utz Thimm (Sendung: hr2, 22.06.2006, 8:30 bis 8:45 Uhr)

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Professor Eckhart Franz ist der ehemalige Direktor des Hessischen Staatsarchivs in Darmstadt. In seine Amtszeit fiel der Umzug des Staatsarchivs in das prächtige Gebäude des Hoftheaters am Karolinenplatz. Im Staatsarchiv wird die schriftliche Überlieferung aus mehreren hundert Jahren hessischer Geschichte aufbewahrt. Deswegen musste Eckhart Franz sich auch mit der Frage beschäftigen: Was geschieht, wenn ein Feuer ausbricht?

Prof. Eckhart G. Franz:

“Archive bestehen ja nun mal zu einem großen Teil aus Papier. Infolgedessen sind die Feinde der Archive Nässe und Feuer. Ich meine, es sind immer wieder bei Bränden, aber eben auch durch Löschwasser Papiere kaputt gegangen. Insofern war, als wir die Löschanlagen planten, völlig klar, eine Löschanlage, die auto­matisch – wie man das in vielen modernen Großbauten tut – mit einem Wasser­sprinklersystem arbeitet, ist für ein Archivmagazin lebensgefährlich. Denn es gibt in jedem Bau mit einer automatischen Löschanlage Fehlalarme, wir haben in den ersten Jahren unendlich viele gehabt in diesem Haus. Wenn dann jedes Mal ‚Wasser Marsch‘ gewesen wäre, ist das Archiv erledigt.”

Mit Wasser zu löschen, kam also nicht in Frage. Zu einem Feuer gehören allerdings immer zwei Zutaten: das brennbare Material natürlich und Sauerstoff. Wenn die Flammen keinen Nachschub an Sauerstoff mehr erhalten, verlöschen sie.

Prof. Eckhart G. Franz:

“Und da war die Lösung damals die Edelgasberieselung. Und inzwischen hat man da auch ein Gas gefunden, was umweltkompatibel ist, mit dem wir hier die Löschanlage eingerichtet haben. Das ist relativ kostspielig, aber wir können sicher sein, dass es dem Archiv nicht schadet.”

Sollte es einmal brennen, würden die Archivräume mit dem Edelgas Argon geflutet, und das Feuer wäre gelöscht. Nun kann man sich nur in Spezialfällen eine Berieselungsanlage mit Edelgas leisten, aber das Prinzip, dass Feuer vom Sauerstoffnachschub abgeschnitten werden muss, wird häufig zum Feuerlöschen verwendet. Diplom-Ingenieur Silvio Burlon ist Direktor der Hessischen Feuerwehrschule in Kassel:

Dipl.-Ing. Silvio Burlon:

“Man kann sich das so vorstellen, wenn in einem Gefäß beispielsweise Diesel­kraftstoff brennen würde, dann könnte ich einen Metalldeckel draufmachen. Stellen wir uns der Einfachheit halber mal einen Kochtopf vor: Metalldeckel drauf, brenn­barer Stoff und Sauerstoff sind getrennt, es kann nicht weiter brennen. Logischer­weise sind in der Realität aber die Brände nicht auf Kochtöpfe beschränkt, und die passenden Deckel hat die Feuerwehr auch selten zur Verfügung, so dass im Grunde ein mobiler Deckel mitgebracht wird oder erst erzeugt wird. Und das nennen wir Löschschaum. Dieser Löschschaum wird aus Schaummittel, man könnte das grob vereinfacht mit Geschirrspülmittel vergleichen, das zusammen mit Wasser und Luft zu Schaum aufgeschäumt wird.”

So paradox es sich anhört: Mit Luft, die ja Sauerstoff enthält, kann man Brände löschen, sofern diese Luft in kleine Schaumbläschen eingeschlossen wird. Der Schaumteppich schneidet den Brand vom Sauerstoffnachschub ab, und der Brand verlischt. Zu einem Feuer gehört also immer Sauerstoff. Und das kann die Arbeit für Feuerwehrleute extrem gefährlich machen. Die Räume, die sie löschen sollen, sind häufig voller brennbarer Gase. Was fehlt, ist nur noch Sauerstoff.

Dipl.-Ing. Silvio Burlon:

“In aller Regel kommt dann nach einer gewissen Zeit, wenn der Brand bemerkt wurde, die Feuerwehr und muss ja zu der Brandstelle hin. Also muss sie Türen und/oder Fenster öffnen. Dabei gelangen natürlich jetzt entsprechende Mengen Luft – oder der Luftbestandteil Sauerstoff – in den Brandraum, mischen sich dort mit den brennbaren Gasen und können durch die vorhandene Glut gezündet werden. Dabei gibt es dann Stichflammen aus Türen und Fenstern, die schon sehr viele Feuerwehrleute schwer verletzt oder sogar getötet haben. Und weil das so ist und weil wir das wissen, tragen wir spezielle Schutzkleidung und bewegen uns in aller Regel sehr dicht am Fußboden entlang, weil die Flammen meistens oder mit der größten Intensität im oberen Bereich des Raumes auftreten. Man könnte sagen im oberen Drittel bis zur Mitte, und im unteren Drittel ist man ganz gut geschützt.”

Warme Luft hat eine geringere Dichte als kühlere Luft und sie steigt auf. Deswegen konzentrieren sich die Flammen im oberen Bereich des Raumes und man kann darunter hinweg kriechen. Wenn ein Waldbrand an einem Berghang ausbricht, dann frisst sich das Feuer auch mit Vorliebe den Berg hoch und nicht hinunter. Eine Situation, die Feuerwehr­leute fürchten, ist, wenn Glutteilchen mit der heißen Luft aufsteigen und weitergetragen werden. Das Feuer springt dann von Dach zu Dach oder von Baumwipfel zu Baumwipfel.

Dipl.-Ing. Silvio Burlon:

“So ein kleiner Funke der fliegt drei, vier Meter weit, dann ist der verglüht. Der ist meistens nicht das Problem. Aber es können ganze Strohballen bei Bränden landwirtschaftlicher Anwesen, Pappkartons oder auch Bretter, Holzschindeln, auch Baumbestandteile, Äste über bis zu mehrere hundert Meter weit mitgerissen werden und dort, wo die landen, zur Ausbreitung beitragen. Wir nennen das Flugfeuer.”

Das häufigste Löschmittel ist bekanntlich Wasser. In Fulda liegt in den Fuldaauen das Deutsche Feuerwehrmuseum. Unter anderem präsentiert Museumsdirektor Rolf Schamberger dort eine funktionsfähige Handdruckspritze, mit der früher Feuer gelöscht wurden. Die Besucher dürfen die Handdruckspritze gerne selbst ausprobieren, aber sie halten nie lange durch.

Rolf Schamberger:

“Man kann sagen normalerweise acht Leute, die die beiden Druckstange einer Handdruckspritze betätigen, die sind nach vier Minuten so ausgebrannt, dass sie in der nächsten halben Stunde kaum zu etwas anderem einsetzbar sind.

Um einen Brand zu löschen sind also etwa fünf Gruppen mit jeweils acht Leuten not­wendig, die sich ständig abwechseln. Aber dann ist noch kein Wasser in der Handdruck­spritze. Das Wasser musste früher durch eine Eimerkette vom nächsten Teich oder Fluss erst mal herangeschafft werden, erzählt Rolf Schamberger.

Rolf Schamberger:

“Man hat also allein, um den Pumpbetrieb aufrecht zu erhalten, im Wechsel immer so um die vierzig Personen gebraucht, und da war noch nicht die Eimerkette dabei. Die Eimerkette war ja doppelt, weil der volle Eimer musste zum Feuer hinkommen, und der leere Eimer musste ja von der Handdruckspritze weg wieder zur Wasser­entnahmestelle, da haben Sie je nachdem für die Eimerkette auch noch mal so 50, 60 Leute gebraucht. ”

Erst wenn man sich diese Zahlen vor Augen hält, versteht man, was für eine großartige Erfindung der Feuerwehrschlauch ist. Sein Erfinder war Jan van der Heyden, Brand­meister von Amsterdam, der 1673 auch den Saugschlauch erfand, mit dem er die Eimerkette ersetzen konnte.

Rolf Schamberger:

“Mit dem Saugschlauch konnte eine Handdruckspritze auch eine Höhe von zwei, drei Metern überwinden. Der Saugschlauch war in der Regel sechs Meter lang. Und wenn man natürlich saugt, zieht sich das, an dem man saugt, zusammen. Und darum hat man innen eine Drahtspirale reingelegt, so dass man ansaugen konnte, ohne dass der Schlauch in sich zusammenfällt.”

Zum Feuerlöschen reicht es dann nicht, einfach mit dem Wasserstrahl auf das Feuer zu halten. Zum Feuerlöschen muss man das Feuer verstehen, sagt der Direktor der Hessischen Feuerwehrschule Silvio Burlon:

Dipl.-Ing. Silvio Burlon:

“Bei einem Wasserstrahl kann es sinnvoll oder sogar notwendig sein – beispiels­weise ein Holzfeuer –, dass ich den Wasserstrahl auch in die Glut richte. Da ist es aber nicht so sinnvoll mit scharfem Strahl in die Glut zu spritzen, man will das Feuer ja nicht ausbreiten, sondern ich will’s mal vergleichen mit dem Blumengießen oder Rasensprengen, dass man ein bisschen dafür sorgt, dass der Strahl etwas aufgefächert ist.”

Wasser löscht nämlich durch Abkühlen. Und der Kühleffekt ist umso größer, je kleiner die Tröpfchen sind, weil das Wasser seine kühlende Wirkung nur entfaltet, wenn es verdampfen kann. Das verdampfende Wasser entzieht der Flamme Energie.

Dipl.-Ing. Silvio Burlon:

“Man kann das so vergleichen, wie wenn man mit einer Kupferspirale eine Kerze löscht, dann wird die Kerzenflamme deshalb gelöscht, weil die Kupferspirale der Flamme die Energie entzieht.”

Die Temperatur wird unter den Punkt gesenkt, bei dem sich das Kerzenwachs noch entzünden kann – und die Flamme verlischt. Beim Löschen mit Wasser kommt es also darauf an, dass möglichst viel Wasser verdampft und so dem Brand möglichst viel Energie entzieht. Um das zu erreichen, müssen sich die Feuerwehrleute entscheiden, welche Düse sie auf ihr Strahlrohr schrauben wollen.

Dipl.-Ing. Silvio Burlon:

“ … von einem scharfen Strahl mit großer Reichweite zu einem sehr feinen Sprühstrahl bis hin zum Wassernebel, wenn man aus der Nähe löschen will oder sich oder andere Gegenstände vor Wärmestrahlung schützen will. Und je nachdem, wie der Brand sich entwickelt hat, welche Art, welcher brennbarer Stoff, muss Feuerwehrfrau oder -mann entsprechend das Strahlrohr umstellen oder die Düsen ab- oder draufschrauben.”

Den Erfolg erkennen Feuerwehrleute dann an der Farbe des Rauchs. Verfärbt sich der Rauch weiß, dann löschen sie richtig.

Dipl.-Ing. Silvio Burlon:

“Wenn man mit Wasser in Feuer spritzt, das, was ich dann sehe, ist in aller Regel kein Rauch, sondern Wasserdampf in großer Menge. Und wenn ich das sehe, ist es ein gutes Zeichen, bedeutet es doch, dass das Wasser verdampft und dadurch seine abkühlende Wirkung entfalten kann. Spritze ich da rein und es würde kein Wasserdampf entstehen, dann erreiche ich nicht die heißen Teile und spritze möglicherweise nur durch den Rauch. An der Farbe des Rauches kann der ausgebildete Feuerwehrangehörige grob erkennen, was dort brennt.”

Mit Wasser kann man also Feuer löschen. Schwieriger zu verstehen ist dagegen, dass man auch mit Pulver ein Feuer löschen kann. Dabei kommt es auch hier darauf an, der Flamme möglichst viel Energie zu entziehen. Die üblichen Feuerlöscher enthalten dafür ein sehr feines Pulver, Feuerwehrleute reden von einem “Wandeffekt”.

Dipl.-Ing. Silvio Burlon:

“Und so eine Pulverwolke hat eine sehr große ‚Wand‘. Man könnte sich ja vor­stellen, dass wir die kleinen Pulverkügelchen alle aufschneiden und nebeneinander die entstehende Fläche aufkleben. Und dann würden wir bei einem Kilo Lösch­pulver eine Fläche von rund 500 Quadratmetern zusammenbekommen. Und dieser Wandeffekt sorgt dafür, dass der Flamme die Energie entzogen wird und ohne Energie ist ein weiteres Brennen nicht möglich.”

Das ist aber längst noch nicht die ganze Physik, die ein Feuerwehrmann oder eine Feuerwehrfrau verstehen muss. Nur ein Drittel ihrer Einsätze hat mit Feuer zu tun, zwei Drittel sind technische Hilfeleistungen, wenn etwa nach einem Verkehrsunfall Insassen eingeklemmt sind oder sei es auch nur die Katze, die den Weg vom Baum nicht wieder herunterfindet.

Dipl.-Ing. Silvio Burlon:

“Die bei der Befreiung von eingeklemmten Personen in Fahrzeugen verwendeten Geräte sind fast immer so genannte hydraulische Rettungsgeräte. Ein Spreizer, den man sich so vorstellen kann, dass er zwei Arme hat wie eine lange Zange. Und an den Armen vorne dran sind Backen und damit kann man Gegenstände auseinander spreizen, zum Beispiel auch verklemmte Türen öffnen, Fahrzeugdächer hoch­drücken.”

Mit Hydraulik funktionieren auch die Schneidgeräte, die im Volksmund Rettungsscheren genannt werden. Sie entwickeln so starke Kräfte, dass sich damit zum Beispiel ein Dach vom Fahrzeug abschneiden lässt. Dazu setzt eine Pumpe Öl in Schläuchen unter einen ungeheuren Druck, etwa 600 bis 800 bar. Zum Vergleich: in einem normalen Autoreifen herrschen kaum zwei bar Druck. Und noch ein Gerät der Feuerwehr, das bei kleinen Jungs glänzende Augen verursacht, funktioniert nur mit Hydraulik: die Drehleiter.

Dipl.-Ing. Silvio Burlon:

“Diese Drehleitern werden auch mittels Hydraulik aufgerichtet, die Leiter wird mittels Hydraulik ausgezogen, eingelassen und so weiter. Und bevor die Leiter überhaupt in Stellung gebracht wird, werden ja seitlich die Abstützungen ausgefahren, damit die Standsicherheit besser wird und das ganze Gestell nicht wackelig wird. Und diese Abstützungen fahren auch hydraulisch aus.”

Mit einer Form von Hydraulik arbeitet im Grunde auch ein Gerät, mit dem sich unmittelbar Menschenleben retten lassen: das Sprungkissen. Früher gab es Sprungtücher, aber um den Aufprall einer einzigen Person abzufangen, musste so ein Sprungtuch von 16 Personen gehalten werden. So viele Feuerwehrleute sind – vor allem zu Beginn eines Einsatzes – selten am Ort. Heutzutage werden deswegen Sprungkissen aufgeblasen.

Dipl.-Ing. Silvio Burlon:

“Das sind in der Regel mit Pressluft aufgeblasene große Kissen, die eine Auf­sprungfläche von mindestens fünf mal fünf Meter haben, ziemlich hoch werden – bis zu zwei Meter oder höher – und dort springen da die Menschen rein. Und diese Kissen haben nur kleine Öffnungen, dass, wenn sie sich nach dem Sprung zusammendrücken, die Luft entweichen kann.”

Feuerlöschen und Menschenleben retten hat also viel mit dem klugen Einsatz von Physikkenntnissen zu tun und eher wenig mit reiner Körperkraft. Silvio Burlon fordert deswegen auch ausdrücklich Mädchen auf, sich zu überlegen, ob Feuerwehr nicht ein Beruf für sie wäre.